GRÜNE Haushaltsrede zum städtischen Haushalt 2019 | Ungleiche Antriebe und die Welt im Rücken

Die GRÜNE Stadtratsfraktion sieht den städtischen Haushalt 2019 als Abbild, wie sehr Ingolstadt zur Zeit mit unterschiedlichen Antrieben unterwegs ist. Einerseits wird einiges investiert, um Ingolstadt als Wirtschaftsstandort zukunftsfähig zu machen. Andererseits wird auf die Grenzen des Wachstums nicht reagiert. Die ökonomische Antriebsgeschwindigkeit ist in Ingolstadt stärker als die ökologische.

Kritik gab es deshalb nicht an den Bestrebungen, Ingolstadt zukunftsfähig zu machen, sondern am dabei fehlenden Willen zum schonenden Umgang mit Ressourcen und zur nicht beachteten Nachhaltigkeit, an einer nicht auf die Zukunft ausgerichteten Verkehrspolitik und einer nicht umweltschonenden Baupolitik. Man kann sich fragen, ob die wirtschaftsnahe Ausrichtung in Ingolstadt nur den Großen dient oder ob hier eigentlich alle mitgenommen werden.

Die Entscheidungsprozesse müssen demokratisch ablaufen, wir brauchen auch die Bürgerbeteiligung, deren Möglichkeiten in Ingolstadt nicht ausreichend genutzt werden. Die unterschiedliche Geschwindigkeit spielt nur den Falschen in die Hände. Demokratie bedeutet, Ideen zu haben, sich sachlich auseinanderzusetzen und gemeinsam zu gestalten. Ingolstadt muss lebenswert bleiben. Dafür braucht es mehr städtisches Engagement, denn eine intakte Natur und eine lebendige Kulturlandschaft sind ein Gewinn an Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger Ingolstadts.

Hier die Rede der Fraktionsvorsitzenden Petra Kleine vom 4. Dezember 2018 (es gilt das gesprochene Wort):

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Bürgermeister und Referent*innen,
liebe Kolleginnen und Kollegen des Stadtrates,
sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger hier im Sitzungssaal,

einen Aufhänger als Einstieg in die Haushaltsrede braucht man. Ich habe den eher rätselhaften Gedanken von Ueli Zbinden gewählt, der es wert ist, hier nochmal Raum zu finden. Zbinden ist u.a. einer unseren Gestaltungsbeiräte, er hat in der gut besuchten Diskussion des Donaukurier eine Beschreibung für Ingolstadt gesucht, und sie schließlich als die Stadt „mit der Welt im Rücken“bezeichnet.

Da kann man nun gut rätseln, vor allem wenn man, wie ich, das zitierte Buch von Thomas Melle noch nicht gelesen hat, in dem es um Verwerfungen durch die Bi-Polarität geht. Doch weil es eben von Zbinden eingebracht wurde, versucht man dann doch, die Botschaft zu verstehen. Es geht, im übertragenen Sinne, um die Spannung. Die Spannung, die entsteht, wenn es mehrere ungleich starke Antriebe gibt, die nicht kontrollierbar oder aufeinander abgestimmt antreiben. Einer ist ressourcenstark, überdreht vielleicht. Ein anderer Bereich bleibt antriebsarm. So kommt man als Ganzes nicht voran. Da gerät manches aus der Balance, kippt vielleicht, zerreißt. Das ist so, wenn man Neues baut und nicht schaut, was das Alte dort noch braucht. Das ist so, wenn die Wirtschaft und die Konsumentenwelt mehr (ver-)brauchen, als die eine, gemeinsame Welt an Ressourcen hergibt. Das ist so, wenn man die Demokratie nicht mitnimmt, weil sie langsamer scheint als Entscheidungen der Wirtschaft – so schwächt man die Demokratie, obwohl man sie doch eigentlich sogar selbst braucht, weil sie das eigene Mandat, das eigene Amt legitimiert.

Ungleiche Antriebe und die Welt im Rücken

Der Haushalt 2019 zeigt es sehr gut, wie risikoreich Ingolstadt zur Zeit mit unterschiedlichen Antrieben unterwegs ist, mehreren Geschwindigkeiten, die aus grüner Sicht den Herausforderungen der Welt nicht gerecht werden.

Der 2019er Haushalt erinnert uns – eigentlich – sogar an die Grenzen des Wachstums. Das Jahr 2023 ist im Investitionsplan noch nicht abgebildet, doch es ist ein Ausrufezeichen, denn dann, in 2023, gehen die Rücklagen gegen Null. An der Stelle haben wir – neu – die Kategorie „zukünftig“ im Investitionsplan. Mehr als 268 Mio. Euro sind in diese „Zukünftigkeit“ geschoben. Zukunft als unbestimmt.

Doch es gilt auch: Wir bleiben über 2023 hinaus handlungsfähig. Das ist wichtig zu betonen. Denn: Wir müssen handeln, wegen der Welt. Der Welt, die uns als spürbare Klimaerwärmung im Nacken sitzt und uns auffordert, global zu denken und vor Ort zu handeln. Wir müssen handeln, wegen der Welt der Wirtschaft, die, wie der OB immer wieder zitiert, nicht auf uns wartet. Und wegen der Welt im Rücken, die aus den Spannungen entsteht, dass der ökonomische Antrieb stärker ist als der ökologische und dass das in diesem Drang nach vorne nicht mehr gesehen wird. Es wird nicht anerkannt bei den Treibern der Wirtschaftsförderung, dass es sogar eine Wende braucht, eine Energiewende, eine Verkehrswende, eine Klima(wandel)wende.

Ein „Weiter so!“ ist keine Option.

Im Haushalt stecken einige Millionen Euro, um Ingolstadt als Wirtschaftsstandort zukunftsfähig zu machen, soviel Geld wie nie zuvor für Wirtschaftsförderung. Hundertausende Euro in vielen neuen GmbH-Kooperationen, mindestens 300.000 € kommunale Mittel allein für die Urban Air Mobility, 3 Millionen in einer Wissenschaftsstiftung für Forschung. Auch, um gute Leute hierher zu holen, hier zu halten.

Ingolstadt als Forschungs- und Wissenschaftsstadt, ja, das ist eine gute Vision für die Stadt. Hier voranzugehen, die großen Akteure der Wirtschaft und Hochschulen für den Standort zusammenzubringen, das ist kein Selbstläufer, es ist ein Erfolg, der die Stadt zukunftsfähig machen kann. Das sehen wir durchaus. Doch da fangen bereits erste Verwerfungen an. Wo bleiben dabei eigentlich die mittelständischen Unternehmen, profitieren sie vom Zusammenschluss der Großen oder werden sie an den Rand gedrückt und haben dann die Welt im Rücken? Wurde über diese überhaupt gesprochen? Wir müssen kritisieren, dass die Schwerpunkte der Wirtschafts- und Wissenschaftsförderung zu stark auf das einzelne automobile Fahren im Einzelmobil setzen, zu Land oder zu Luft. Das setzt zu sehr auf bestehende Monokultur und auf eine wenig nachhaltiges Mobilitätskonzept.

Den Ausgleich der Antriebsgeschwindigkeiten brauchen wir auch zwischen den demokratischen Prozessen und den wirtschaftsnahen Entscheidungen. Wenn ein Pressebild veröffentlicht wird, das die Gründung einer Forschungs-GmbH feiert, und der Stadtrat zeitgleich mit dieser Pressekonferenz überhaupt erst die Unterlagen in den Briefkasten bekommt und Tage später erst beschließt – dann stimmt doch etwas nicht! Oder ist das völlig belanglos, was auf einer Stadtratssitzung beschlossen wird. Soll dieser Eindruck sogar entstehen? Für den Ausgleich dieser zwei Geschwindigkeiten muss jemand sorgen, sonst wird es weitere demokratische Verwerfungen geben. Mit der permanenten Infragestellung und Abwertung demokratischer Gremien wie dem Stadtrat wird unsere Demokratie insgesamt geschwächt. Das spielt denen in die Hände, die von rechts außen nur darauf warten. Wir dürfen solche demokratischen Schieflagen daher nicht unkommentiert hinnehmen, sondern wir müssen Sie, Herr Oberbürgermeister, dringend in die Verantwortung nehmen, dafür zu sorgen, dass die demokratischen Abläufe des Stadtrats wieder angemessen berücksichtigt werden können. Erst die Entscheidung, dann das Pressefoto (und wir wollen dann nicht alle auch noch auf das Foto, das können wir zusagen).

Uns Demokratinnen und Demokraten verbindet doch viel mehr, als uns trennt! Das sehen wir dann, wenn wir den Blick nach rechts außen wenden. Demokrat*innen wollen gestalten, bringen Ideen ein, suchen die sachliche Auseinandersetzung. Das zeichnet uns aus! Im Gegensatz zu den Rechten. Und sorgen sie, Herr Oberbürgermeister, bitte auch dafür, dass Beschlüsse des Stadtrates ordentlich vollzogen werden und wir dieses Thema nicht noch einmal ansprechen müssen.

Um nun noch zu der Welt zu kommen, die uns im Nacken sitzt mit den Auswirkungen des Klimawandels, mit den Verkehrsbelastungen und Ressourcenverschwendungen, die wir als Stadt nicht ausreichend angehen, Energiespar-Potenzialen, die wir seit langem nicht nutzen, obwohl es gerade dort technisch machbar, ökologisch und ökonomisch sinnvoll wäre. Wir fassen Beschlüsse zur smarten Stadt, zur digitalen Stadt, heute zur Nachhaltigen Stadt und setzen uns keine nachvollziehbare ökologischen Ziele, die sich auf diese Herausforderungen beziehen. Antriebsgeschwindigkeit keine. Stand by.

Das andere uneingelöste Versprechen aus der smarten oder digitalen Stadt ist die Bürgerbeteiligung. Antriebsschwach. Aktuell ist der Download von Unterlagen zu Projekten schon der digitale Höhepunkt der „Smart City“ Ingolstadt. Auch analog nutzen wir unsere längst beschlossenen Bürgerbeteiligungs-Richtlinien kaum und geben den Bürger*innen nicht die Möglichkeiten, auf die sie einen Anspruch haben. Enttäuschend antriebsarm.

Denn im besten Sinne im Nacken sitzen uns doch gerade die Bürgerinnen und Bürger – diese sind in ihrem Alltag längst viel weiter im Sinne einer grünen Stadt. Sie erwarten von uns, dass wir natürlich auch als Stadt fair, regional, bio einkaufen, Müll vermeiden, CO2-neutral handeln sollen. Die Menschen sind schon viel weiter und sie erwarten es auch von der Stadt!

In diesem Haushalt fehlen uns die Investitionen für den weiteren Ausbau der neuen Bahnstrecken über den Audi-Halt hinaus, es fehlen Investitionen in den ÖPNV, der die Menschen in ihrem vernetzten Alltag in jeder Beziehung gut abholt. Unsere Devise für Ingolstadt muss doch sein: Fahren statt warten, Angebot statt Fahrverbot! Dazu und zu anderem, was uns fehlt – Luftschadstoffmessungen, nachhaltige Mobilität, Premium ÖPNV –, haben wir Anträge gestellt, die heute beschlossen werden können. Das Fehlen eines Landschaftspflegeverbandes oder einer wie auch immer gearteten Grün-GmbH nenne ich nur so, zur Erinnerung. Die Anträge und kontroversen Meinungen liegen ja alle vor, doch hier ist die Stadt wohl in der berühmten Mopsgeschwindigkeit unterwegs.

Und noch ein Wort zum Bauen: Cradle-to-Cradle sollen wir ja heute mit der Nachhaltigkeiten Stadt beschließen. Ja, das wäre doch was. Bauen Sie doch endlich so, dass beim Bauen kein Abfall übrigbleibt. Vor allem nicht, wenn das Kongresshotel eines Tages wieder abgerissen wird und nicht mehr dem Blick aufs Schloss verstellt.

Ein Blick nach nebenan zum neuen Museum für konkrete Kunst und Design. Während hier von der Verwaltungsbank immer wieder polemisiert wird, dass das Museum ohnehin nur 5 % der Leute interessieren würde, und es sich ständig und immer hinterfragen lassen muss, sieht es die öffentliche Diskussion anders. Ein klares öffentliches Plädoyer vieler Besucher und Fachleute für das Museum auch bei den großen Diskussionsrunden des Donaukurier und die Ermutigung, damit etwas für die Stadt zu tun! Großes Unverständnis dafür, auch in den Reihen der Wirtschaft, dass es immer wieder so madig gemacht und verzögert wird.

Wenn Ingolstadt eine spannende Wissenschaftsstadt werden soll und die Wissenschaftler*innen und kreativen Köpfe auch hier vor Ort bleiben und leben sollen, müssen wir die Lebensqualität für sie schaffen. Beziehungen, Kontakte sozialer Austausch sind für die jungen Generationen enorm wichtig! Dazu gehören Orte, an denen was los ist, wo man anderen begegnet. Dazu gehören lebendige Naturräume. Dazu gehören natürlich auch spannende Kulturräume. Kulturorte, wo man hingeht, ohne genau zu wissen, wer einen und was einen erwartet. Man weiß eben nur: Die Kunst und die Musik und die Leute bei den Eröffnungsevents im MKK(D) sind immer gut. Da ist was los. Oder nur, es ist schön, im Museum einen Kaffee zu trinken. Diese E r w a r t u n g haben zu können, das muss so bleiben, dann bleiben auch die gutqualifizierten Menschen und die kreativen Köpfe.

Gute Orte machen Lust auf die Stadt.

Was auf keinen Fall Teil der Erwartung werden darf, ist der berüchtigte Kaffeeautomat im MKKD, der sich als Alternative immer wieder in die Spar-Diskussion schleicht. Mehr braucht‘s doch ned? Natürlich braucht das neue MKKD eine gute Gastronomie – regional, fair, einfach gut, ein schönes, unkompliziertes Café. Das ist überhaupt keine Frage. Alles andere ist weltfremd und auch wirtschaftsfremd. Ohne dies funktioniert das Museum nicht als lebendiger, offener Ort. Genau so etwas hält eine Stadt letztlich zusammen und macht überhaupt auch Lust auf die Stadt. Gute Orte, da zitiere ich noch einmal Ueli Zbinden, sind gut gegen Eigenbrötelei, denn wir leben in einer Zeit in der Gemeinsinn wichtiger wird. Für alle und vor allem für die, die die Welt im Rücken haben, und am Rand stehen.

Und: Die digitale Welt braucht auch eine sinnliche Welt.